
Bergsteiger und Philosoph
Wenn jemand aus Ahornach kommt und dort seine ganze Jugend verbracht hatte, prägt das einen Menschen ganz besonders. Hans Kammerlander kam aus einer solchen Familie und hat von dort aus seinen beeindruckenden Aufstieg in Angriff genommen. Von den beinhart arbeitenden Eltern hatte er nur wenig, da ihm seine Mutter schon sehr früh genommen wurde. In seiner Biographie wurde Hans gefragt, was denn die letzten Worte der Mutter an ihre Kinder waren, als sie ins Spital gebracht wurde, von dem sie nie mehr zurückkehrte: «Pfiat ench», waren ihre letzten Worte. Als ich das gelesen hatte, gab es mir selber einen Stich ins Herz. Wie muss sich das für einen Jungen von 10 Jahren angefühlt haben! Die große Schwester sprang in die Lücke der Mutter und kümmerte sich von da an um die ganze Familie. Was natürlich Auswirkungen auf ihr eigenes Privatleben hatte, bis heute. Sie ist immer noch alleine und kümmert sich um «ihre» Familie. Ab und an treffen sich die ganzen Geschwister am Hof in Ahornach und genießen die seltene Gemeinsamkeit. Von allen Geschwistern hat nur Hans die Faszination für die Berge mitbekommen. Er ist schon als kleiner Bub einem deutschen Pärchen hinterhergelaufen, weil sie ihn nach dem Weg zum Gipfel fragten. Er folgte ihnen in heimlichem Abstand bis hinauf zum Gipfel.
Das erste Gipfelerlebnis für Hans, das ihn nie mehr losließ!
Von da an kreisten seine Gedanken stetig um die Berge und kleinere und größere Abenteuer im felsigen Gelände. Von anderen Verpflichtungen war er hingegen weniger angetan, z.B. von der Schule. Einerseits war der Weg so lange bis dorthin andererseits war das Lehrpersonal nicht so interessant, als dass es ihn richtig fesseln konnte. (Aber ehrlich gesagt, bei mir war das auch nicht viel anders). So hakte er die Schule mehr schlecht als recht ab und versuchte mit der Arbeit auf dem Hof und seiner Lieblingsbeschäftigung dem Klettern seine Zeit zu vertreiben. Mittlerweile halbwüchsig suchte er eine Beschäftigung, um selber Geld zu verdienen. Gefunden hatte er sie in einer Baufirma in der Nähe. Im Winter, ohne viel Überganszeit für Ferien, fing er an als Skilehrer zu arbeiten. Das war sicherlich ein sehr wichtiger Schritt für seine spätere Berufung als Extrem-Skifahrer von den höchsten Bergen der Welt. In der Zeit, die ihm neben dem Broterwerb blieb, bestieg er mit Kletterpartnern oder alleine die umliegenden Felswände und Gipfel, die ihn bereits damals an seine Grenzen brachten.
Heute kann Hans sagen, dass er diese Sturm und Drang – Zeit nur mit viel Glück überlebte. Diese ersten Erfahrungen erläutert Hans mittlerweile auf höchsten Niveau und mit einer ordentlichen Prise Humor in seinen ausverkauften Vortragshallen. Dolomitenwände, Eiger, Grand Jorasses und viele mehr, waren aber bis dato nur der erste Teil seiner märchenhaften Bergsteigerkarriere.
Der wirkliche Wendepunkt kam mit einer Anfrage von Reinhold Messner in den Himalaya anfang der 80er Jahre. Selber fast mittellos wäre er nie in der Lage gewesen, ins höchste Gebirge um die halbe Welt zu reisen. Hans ergriff die Chance und trainierte wie ein Wahnsinniger auf seine erste 8000er Expedition. Es sollte aber nicht seine letzte sein, sondern der Anfang von etwas ganz Neuem.
Zusammen mit Messner stellte er etliche Rekorde auf und man darf ohne Umschweife sagen, dass Messner den Wettlauf, um als erster auf allen 14-Achttausender zu stehen, vor allem dem Hans zu verdanken hat. Er war die treibende Kraft für Messner, in wenigen Jahren noch die letzten verbliebenen Gipfel zu erstürmen, bevor das vor ihm der Pole Jerzy Kukuczka schafft.
Nach der gemeinsamen höchst erfolgreichen Zeit mit Messner, konzentrierte sich Hans auf neue Ziele. Das erste war die Skiabfahrt vom Nanga Parbat. Mit Skiern dort runter zu fahren, wo andere mit Steigeisen, Eisschrauben und doppelter Sicherung hochklettern, kann sich ein Normalverbraucher gar nicht vorstellen. Hans selber sagte mir, dass er sich «ordentlich» überwinden musste, um vom Gipfel in die erste Schneise einzustechen. Dann passierte noch ein Lawinenabgang! Nur einen Meter unterhalb seines Standes brach die Lawine los und donnerte mehr als 2000 Höhenmeter runter ins Tal, alles unter sich begrabend, was ihr in den Weg kam. Diese Horrorlawine war schlussendlich aber noch vorteilhaft, da Hans nun ohne Lawinengefahr weiterfahren konnte. Trotzdem wäre ein Ausrutscher oder ein Gleichgewichtsfehler gleichwohl tödlich für ihn gewesen.
Im Grunde war der Nanga aber nur die Vorbereitung für ein noch größeres Ziel, dem Mount Everest. Auf diesen bereitete er sich akribisch vor und nahm dabei den Shisha Pangma (8023m) als «Aufwärmtour» im Vorfeld mit. Damit war Hans bestens akklimatisiert für seinen Rekordversuch. Die Zeitplanung für seine Route sah vor, dass er etwas mehr als 20 Stunden für den Aufstieg benötigt. Noch nie hatte einer den Berg schneller bestiegen. Aus reiner Intuition heraus entschied sich Hans, den Aufstieg schon am Vorabend in Angriff zu nehmen, weil er an diesem Abend sowieso nicht mehr schlafen hätte können. Eine gute Entscheidung im Nachhinein. In der Nacht ist es kühl und die Lawinen ruhen auch. So erklomm er in unglaublichen 16 Stunden den Aufstieg zum Gipfel. Die weltberühmten Fotos mit den Atomic-Skiern am höchsten Punkt der Erde, gingen um die Welt. Es war erst 09:00 morgens und die Zeit für die Abfahrt war noch günstig. Nur gut, dass er schon extreme Erfahrungen am Nanga Parbat gesammelt hatte, sonst wäre er psychisch nicht in der Lage gewesen, dieser Herausforderung stand zu halten. Er hatte ja immer noch die Wahl, zu Fuß und damit wesentlich sicherer ins Basislager zurück zu kehren. Die Bedingungen waren sehr schwierig und die ganze Abfahrt bis ins Basislager dauerte volle 6 Stunden. Eine unglaubliche geistige und körperliche Leistung, die nur mit dem Alleingang eines Hermann Buhl 1953 am Nanga Parbat zu vergleichen ist.
Hans war mit einem Schlag berühmt und, was sehr wichtig für ihn war, endlich aus dem Schatten seines großen Mentors Reinhold Messners getreten.